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ONLINE-PARTY


Bericht ueber eine von der deutschen Bundespost sabotierte Online-Veranstaltung zwischen Bielefeld (BRD) und Winnipeg (Kanada).

Neue Kommunikationsmoeglichkeiten allerorten. Wir koennen darauf verzichten, RTL zu sehen; endlich gehoeren wir zu den Avantgardisten, die keinen BTX-Anschluss haben. Wir verzichten auf Telex, Telefax, und kein Theaterabonnement und keine Zeitschrift kommen uns ins Haus. Wozu? Wir haben einen freundlichen Mikrocomputer, der mit der Telefonleitung verbunden ist. Unser kleiner Computer kommuniziert mit anderen Computern und teilt uns mit, was in der Welt so los ist.

Das scheint nicht im Sinne der Leute zu sein, die ein Kommunikationssystem wie Bildschirmtext (BTX) anbieten, mit dem man Daten, meist Werbung, sechzehn Mal schneller empfangen kann, als man selber seine Bestellung zu senden in der Lage ist.

Da koennte ja dann ploetzlich jeder die teuren Datennetze benutzen. Die aber sind fuer Banken und Versicherungen da, damit sie ueberprfen koennen, ob wir unsere Rechnungen puenktlich bezahlen. Fuer die Jedermanns gibt's doch Kabelfernsehen, und eben BTX, das reicht doch zum Geld- Umsetzen. Wozu mehr?

Hier setzen nun einfallsreiche Menschen an, die in unseren Tagen dabei sind, sich ihre eigenen Kommunikationskanaele zu erfinden, und zwar ueber die Datennetze. Soweit das Telefonnetz reicht, koennen per Computer Daten - seien es Bilder, Worte, Zahlen oder ganze Computerprogramme - von einem Flecken der Erde zum anderen uebertragen werden. Wo das Telefonnetz endet, wird Datenfunk eingesetzt. Messdaten vom Nordpol zum Suedpol zu uebertragen, ist im Grunde nur noch eine Sache von Sekunden. Einen Artikel von einem Referendum in Chile via transportablem TOSHIBA-Laptop mit eingebautem Modem gleichzeitig direkt ins Redaktionssystem einer Zeitung in Toronto, einer Agentur auf's Telefaxgeraet nach Koeln, und dem Westfalenblatt auf den Ticker - kein Problem.

In Deutschland allerdings befinden wir uns im Kommunikations-Hoheitsgebiet der Deutschen Bundespost. Da darf man sich nicht einfach an das Fernsprechnetz anklinken. Man muss erstmal Antraege ausfuellen und man muss sich belehren lassen. Beispielsweise darueber, dass man eines der komfortablen, zigarettenschachtelgrossen 2400-Baud-Modems auf keinen Fall ans Telefonetz geschlossen bekommt. Man habe ein Postmodem zu mieten. Das hat zwar die Groesse eines mittleren Verstaerkers, kann dafuer aber nichts.

ÇWaehlen tut der brave Deutsche mit einem FZZ-geprueften Bleistift, indem er damit die Waehlscheibe dreht. Nach Ertoenen des Daten-Traegertons (Carrier) druecken wir die Datentaste und betaetigen den WAGENRUECKLAUF.

Bitte?

So nennt die Post die Taste, auf der gewoehnlich RETURN steht. Aber uns stoert das alles nicht. Wir zuecken unseren Schraubenzieher und schliessen zwei verpolungssichere Draehte an die Telefondose an, bis wir das Freizeichen aus dem eingebauten Lautsprecher hoeren. Nun koennen wir das Modem waehlen lassen; koennen eine eigene Mailbox betreiben (die von anderen Computern aus angerufen werden kann); und koennen mit hoechster Datensicherheit Daten uebertragen.

Landauf, landab betreiben Computer- und Kommunikations- Avantgardisten Mailboxen. Apotheken wickeln ihre Bestellungen - wie die Buechereien - ueber (nicht genehmigte) Modems ab. Mindestens 20 Prozent der 130.000 BTX-Anwender benutzen nicht das postgepruefte DBT03, sondern arbeiten mit hoeherer Geschwindigkeit als der, die das System dem braven Deutschen erlaubt.

Als Reisende in Nordamerika benutzen wir die in unserem TOSHIBA-Laptop eingebaute Modemkarte. Ein schlichtes Telefonkabel, das es in jedem zweiten Laden zu kaufen gibt, kann einfach in die naechstgelegene Telefondose gesteckt werden. Nach Waehlen der 0 gebe ich dem Operator meine Telefonkartennummer und kann nun auf Kosten meines eigenen nordamerikanischen Telefonanschlusses - quasi aus jeder Telefonzelle in der Wueste - meine elektronische Post von einem Ende der Welt zum anderen schicken. In Deutschland fuehrt TOSHIBA diese Modemkarte nicht einmal im Prospekt auf.

Aber wir sind dicht dran. Seit geraumer Zeit nutzen wir die Datennetze fuer unsere Arbeit. Voellig ohne sichtbares - verkaeufliches - Endprodukt eines vorgeblichen 'kuensterlischen Arbeitsprozesses' arbeiten wir mit unsichtbaren, gesteuerten Stromimpulsen, die den Erdball umrunden. Ausser 'Strom ja' und 'Strom nein' kennen sie nichts von der Welt und sind doch in der Lage, (fast) alle Informationen zu transportieren und zu speichern. Tele-Mail- Art.

Als "Kuenstler ohne Produkt" wurden wir vom Canada-Council nach Montreal, Toronto, Winnipeg, Banff und nach Vancouver eingeladen. Wir sollten unsere Arbeit praesentieren und Ideen weitergeben. Gemeinsam mit dem FBuD e.V., einer Vereinigung von Leuten, die keine Vereine moegen und sich mit dem Phnomen Computer beschaeftigen, wurden wir zur Teilnahme an der MEDIALE eingeladen. Diese Veranstaltung, die von der Stadtbibliothek Bielefeld und der GMK initiiert Çwurde, sollte einem breiten Publikum die Palette von alten und neuen Medien nahebringen. Autorenlesungen, Hoerspiel, Video, Performance, Keramik, Super-8 u.v.m. waren vorgesehen; klar, dass wir da nicht fehlen durften.

In einer Vorbesprechung mit dem Postsprecher, Herrn Pook, werden die technischen und organisatorischen Details in der Stadtbibliothek geklaert. Wir benoetigen eine separate Telefonleitung und eine NUI (Network User Identification) - das Passwort fuer den Zugang zu den Datennetzen. Die Kosten dafuer soll die Post tragen. Wir buchstabieren: N.. U.. I.. und erklaeren dem Sprecher der Post, wie das so vor sich geht auf dem Datennetz. Wir weisen ihn darauf hin, dass es ratsam sei, die NUI am Tag darauf wieder abzuschalten, um Missbrauch vorzubeugen. Wir bieten Herrn Pook an, die Post koenne doch eines ihrer Modems aufstellen. Wir wuerden aber auf jedem Fall mit unserem eigenen, nicht zugelassenen Modem arbeiten, das wir gerne unter dem Tisch aufstellen koennten. Das haetten wir auf der 'documenta' in Kassel auch so gemacht. Fuer die Postmodems gaebe es nunmal keine Software. Herr Pook muss sich erstmal rueckversichern.

"Sie wollen ein Postmodem aus dekorativen Gruenden", erklaert er dem Herrn am anderen Ende der Telefonleitung in seiner Dienststelle. Scheint keine Schwierigkeit zu geben. Wir beruhigen Herrn Pook, der Angst hat, dass boese Menschen garstige Sachen mit seinen Telefonleitungen machen koennten - "Auf unseren Veranstaltungen lassen uns irgendwelche Leute immer die Rechner abstuerzen". Herr Pook will wegen der NUI rueckfragen. Wir teilen unser Abflugdatum mit und weisen darauf hin, dass bis zu diesem Termin alle Unklarheiten beseitigt sein sollten.

Etwa eine Woche spaeter teilt uns der Leiter der Stadtbibliothek mit, dass die Post zusaetzlich zu den sonstigen Vereinbarungen auch die Kosten fuer die Telefonleitung uebernehmen wird. Grosse Freude und Verwunderung unsererseits darueber, wieso andere Computervereinigungen vor uns nicht auch mit der Post klargekommen sind. Zwei Bedingungen hat sich die Post ausgehandelt. Eine davon erfuellt die Stadtbibliothek gerne: Ein BTX-Terminal fuer mehrere Monate in der Stadtbibliothek. Ein ISDN-Vortrag wird in eine Diskussion mit dem Hamburger Medienwissenschaftler Dr. Hans-Dieter Koebler abgemildert, und ein Post-Werbe-Stand wird auf einer MEDIALE auch noch seinen Platz finden. Die NUI will Herr Pook nicht aus der Hand geben. Er wird sie jedesmal selber eintippen. Soll er machen, wenn's der Post dann wohler ist.

Einen Monat spaeter installieren wir in Winnipeg in der Galerie 'Plug In' unseren Kunstraum, darin die Gegenstelle fuer die Kommunikation mit der MEDIALE. Zusaetzlich zu unseren Arbeitsstunden mit Kunstpublikum in der Galerie halten wir Vortraege an der University of Manitoba. Fuer die Çmeisten der Studenten - und der Lehrer - ist es der erste Kontakt mit diesem Medium. Umso interessierter sind sie, ueber die Moeglichkeiten mehr zu erfahren und sie auszuprobieren. Auch in Bielefeld schreckt die fruehe Zeit von sechs Uhr morgens nur die wenigsten davor ab, in die Galerie 'Art d'Ameublement' zu kommen und eine auf Plakaten angekuendigte ONLINE-PARTY zu feiern. Sechs Stunden Zeitunterschied machen den fruehen Beginn noetig.

Am Tag vor der ONLINE-PARTY gibt es den ersten Aerger. Herr Pook hat ein riesengrosses Postmodem mitgebracht und besteht, gegen die Vereinbarung, darauf, dass ausschliesslich dieses Modem benutzt wird. Sein Techniker dreht den ATARI um und aeugt nach dem (fehlenden) FZZ- Pruefaufkleber. Ein baugleicher ATARI mit Aufkleber wird besorgt; gleichzeitig holt Herr Pook eine 'Sondergenehmigung' fuer den postgeprueften ATARI ohne Aufkleber ein. Der Techniker schliesst sein Modem an eine Telefondose an und geht. Nun stehen sie da, zirka vier Leute inklusive Postsprecher, und keiner von ihnen weiss, wie ein Postmodem zur Kommunikation angeregt werden kann. Es funktioniert nicht.

Vielleicht liegt der Fehler in den nicht zum Postmodem passenden Kabeln - die Kabel entsprechen naemlich dem Weltstandard RS232C. Herr Pook verkuendet nun, dass unsere Computeranlage eben "einfach nur Schrott sei", und dass dies "wieder mal zeige, dass 'Herr padeluun' nicht nach den postalischen Bestimmungen" arbeite. Da sogar der padeluun- eigene postgepruefte Akkustikkoppler auf dem Tisch steht, erschliesst sich niemandem so recht, wie Herr Pook zu der Auffassung kommt. Das 'boese' Modem schlummert noch im Karton.

Zu diesem Zeitpunkt aeussert Herr Pook zum ersten Mal, dass er "die Sache doch lieber sterben lassen" wuerde. Ebenso unvermittelt erklaert er, dass er von 'Herrn padeluun' angegriffen worden sei. Das kann sich nun niemand erklaeren; auch nicht, warum ihn "dieser Mann nicht mehr interessieren" wuerde.

Der Freitag - Aufbautag - verlaeuft ergebnislos. Einige Mitglieder des FOEBuD e.V. treffen sich privat und probieren die Installation noch einmal mit einem (nicht genehmigten) Modem und unserer eigenen NUI aus. Alles funktioniert. Die Veranstaltung soll am Samstag um zwoelf Uhr mittags (MEZ) beginnen.

Man bewaffnet sich mit einem Satz Verbindungskabel und mit verschiedenen Datenfernuebertragungs-Programmen. Der Akkustikkoppler wird angeschlossen, eine Verbindung zum Datennetz-Verbindungsrechner kommt zustande. Herr Pook gibt seine NUI ein: Alle umdrehen, Mantel ueber die Tastatur. Auf dem mitprotokollierenden Drucker erscheint - fuer jedermann Çsichtbar - neben der kompletten NUI auch die Meldung "invalid command", die anzeigt, dass derjenige, der die Kennung eingibt, etwas falsch macht.

Herr Pook macht diesen Fehler beharrlich. Er behauptet, die NUI wuerde nur fuer das Datennetz mit 1 Baud Geschwindigkeit gelten und da der Koppler nur 300 Baud koenne, liesse sich damit also nicht arbeiten. Spaeter erweist sich, dass der postgepruefte Akkustikkoppler durch den Laerm in der Bibliothek versagt hat. Er neigt dazu, die Umgebungsgeraeusche als Daten zu interpretieren.

In Winnipeg zeigen wir derweil den Anwesenden ein paar Fingeruebungen in DFUE - die Telexmoeglichkeiten, das Umschalten der Benutzerfhrung von Deutsch auf Englisch, auf Spanisch, Bayrisch und aufs Franzoesische. Wir zeigen den anwesenden Musikern, dass sie Samples und Programm-UpDates direkt aus der Hamburger MMS2-Mailbox laden koennen, und fuehren den Zugang zur Datenbank der 'Washington Post' vor.

Um sieben Uhr (dreizehn Uhr MEZ) steht der erste Europa- Kontakt. Via Akkustikkoppler und direkt per Transatlantik- Telefongespraech sind die Computer eine halbe Stunde lang miteinander verbunden. Laenger geht nicht, dann ist Herr Pooks ISDN-Diskussion beendet. Wenn auch die Post mal ein freies Telefon springen laesst, heisst das noch lange nicht, dass damit auch telefoniert werden darf. Zitat Pook: "Ich reiss' Euch den Kopf ab, wenn ihr das macht."

Um vierzehn Uhr MEZ packt Herr Pook sein Telefon und sein Modem ein und geht. Er hat seinen Stand aufbauen duerfen und hat seine Diskussion ueber ISDN gehabt. Der FOEBuD zieht unter Mitnahme des Equipments und eines Teils des Publikums in die Galerie 'Art d'Ameublement' um. Ohne Hilfe von Postlern ist die Anlage schnell installiert. Die zahlreichen Besucher der Galerie 'Plug In' koennen sich nun nach der Darbietung deutscher Wirklichkeit endlich dem Grund ihres Besuches widmen; auch wenn nun der oeffentliche Rahmen in Bielefeld fehlt.

Auf Kosten von 'Art d'Ameublement' und 'Plug In' umlagern fast zwei Stunden lang in Bielefeld und in Winnipeg die verbliebenen Zuschauer - jetzt selber Akteure - die Tastaturen der Rechner und unterhalten sich in einer Englisch-Deutsch-Mischung. In einer Konferenzschaltung ueber die MMS-Box schalteten sich noch Leute aus Oesterreich, Italien und Chile mit in die Unterhaltung. Faszinierend: Nahezu zeitgleich zu den tatsaechlichen Ereignissen sind die Nachrichten ueber Polizeieinsaetze gegen Journalisten auf dem einen Kanal, die Nachricht ueber den Tod von Franz Josef Strauss auf dem anderen Kanal zu vernehmen, einen Tag, bevor es in den kanadischen Zeitungen zu lesen sein wird.

Welcher Grund sich hinter dieser Sabotagetaktik der Post in ÇPerson ihres Sprechers Herrn Pook verbirgt, laesst sich nur schwer nachvollziehen. Mag sein, dass die Post der Einfachheit halber wirklich nur an Einweg-Kommunikation interessiert ist - Kabelfernsehen mit ueberschaubaren Monatseinkuenften, ebenso BTX, das nur kommerziellen "Anbietern" die Moeglichkeit einraeumt "etwas mitzuteilen". Offensichtlich ist die Deutsche Bundespost in keiner Weise daran interessiert, Dienste bekanntzumachen, die eine interaktive Kommunikation ermoeglichen.

Das ist undemokratisch.

padeluun / Art d'Ameublement, Bielefeld

 

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